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Lesetipps im August/ September 2024

Karin Kalisa, "Bergsalz"

Kazuaki Takano, "13 Stufen"

Michael Bergmann, "Mameleben oder das gestohlene Glück"

 
 
Roman, Droemer, 2021,
208 Seiten

Penguin Verlag, 2017,
400 Seiten

Roman, Diogenes, 2023,
256 Seiten
 
       

Ich mag Karin Kalisas Bücher, weil sie gerne von Utopien erzählt, die Wirklichkeit werden. Ihre Handelnden sind normale Menschen und ihre Handlungen sind meist alltäglich- und sie handeln trotz großer Unterschiede aus einem gemeinsamen Impuls heraus, mit Blick auf das Gute für viele.

Schauplatz von Bergsalz ist ein Dorf, wie es sicher viele überall in Deutschland gibt: die Jüngeren sind weggezogen, den Dorfladen gibt es nicht mehr und das letzte Gasthaus ist auch geschlossen und zur Unterkunft für Geflüchtete umgewidmet. So begegnet sich die Einsamkeit der Zurückgebliebenen mit der Entwurzelung derer, die ihre Heimat verlassen mussten. Und weil sich auf beiden Seiten Menschen finden, die diese Situation nicht einfach resigniert hinnehmen möchten, entsteht Neues.

Wem die Handlung allzu blauäugig erscheint, sollte den Beitrag über die 'Harpolinger Tischgemeinschaft', vom SWR1 Baden-Württemberg am 21.06.2024 nachlesen.

Mir hat beides große Freude bereitet, weil es in einer Zeit der vielen schlimmen Nachrichten Mut zur Veränderung macht.


 

 

Sieben Kapitel erzählen die wechselvolle Geschichte von vier Generationen einer Familie – und sie erzählen besonders von Samuel, der als stilles, beobachtendes Kind im Banat aufwächst.
Jedes Kapitel ist einer anderen Person gewidmet: da sind Samuels Eltern, eine evangelische Pfarrfamilie zur Zeit Ceausescus. Da ist Samuels Großmutter, Tochter einer ehemals gutsituierten, enteigneten Fabrikantenfamilie aus Siebenbürgen, die dem König nachtrauert. Es wird von Stana erzählt, Samuels erster Liebe, deren trinkender Vater für die Securitate das Dorf ausspioniert und deshalb gemieden wird. Und von Oz, Samuels bestem Freund, der in seiner Not in den Westen flieht. Im sechsten Kapitel erfahren wir von Bene, einem DDR-Flüchtling, der Samuel kennenlernt und mit ihm zu dessen Eltern zurückkehrt, wo er schon einmal war, doch das ist lange her.
Das siebte Kapitel soll hier ein Geheimnis bleiben.

Der Roman hat gerade einmal gute zweihundert Seiten, und trotzdem lernen wir – über Jahrzehnte erzählt - ein ganzes Land  kennen und begreifen, wie sehr eine Familie zum Spielball der geschichtlichen Ereignisse werden kann: Monarchie, Sozialismus, Enteignung, Flucht, Ausgrenzung, Unfreiheit, die alltägliche Angst vor Spionage und Gewalt – all das wird hier wie beiläufig erzählt, denn Iris Wolff bleibt stets ganz nah an ihren Figuren, ihre Gedanken und Gefühle stehen immer im Vordergrund. Ihre dichte, elegante, nahezu poetische Sprache passt sich diesen Personen an. Ein wunderbarer und gleichzeitig lehrreicher Roman, der den Lesenden von der ersten bis zur letzten Seite für sich einnimmt.

Dies ist der vierte Roman der in Freiburg lebenden Autorin, deren Bücher bereits diverse Literaturpreise gewannen und für viele weitere nominiert waren. Ihr aktueller Roman „Lichtungen“ ist im Januar erschienen.

Wer wie ich, die Bücher von Michel Bergmann mag, wird auch von seinem neuesten Buch: „Mameleben oder das gestohlene Glück“, begeistert sein.

Er erzählt die Geschichte seiner Mutter Charlotte. Und spricht über das Verhältnis zwischen ihm, dem Sohn Michel und ihr. Sie ist eine sehr einzigartige und eigenwillige Frau. Und sehr besitzergreifend und distanzlos gegenüber ihrem Sohn.
Als jüdische Frau im Nationalsozialismus hat sie unglaublich Schweres erlebt, bzw überlebt. Viele Mitglieder der Familie wurden ermordet. Ihr Lebensweg führt sie auch nach Frankreich und in die Schweiz Oft geht einem der Gedanken durch den Kopf, was für ein anderes Leben diese junge Frau Charlotte hätte führen können, in anderen Zeiten. Sie wollte z.B. Kinderärztin werden, aber diesen Weg konnte sie als jüdisches junges Mädchen nicht gehen.
Die Verletzungen, die Charlotte erlebt hat, werden weitergegeben bis zur heutigen Generation.

Mir gefällt, wie liebevoll und um Verständnis bemüht, Michel Bergmann von seiner Mutter erzählt. Oft muss man schmunzeln, wenn die Mutter zu übergriffig wird. Man kommt auch dem Autor sehr nahe, in diesem Buch. Ich habe schon einiges von Michel Bergmann gelesen, aber mir war bis jetzt nicht klar, was für einen schwierigen Lebensanfang er hatte.

Es macht dankbar, um wieviel leichter wir nachfolgenden Generationen leben können. Und mir zeigt es auch die Wichtigkeit, sich gegen jegliche Strömung von rechts zu wehren.
Das Buch hat mich sehr beindruckt.

 

Sibylle Bückle

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Ralf Westerheide

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Christa Molphetas

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